Der Einrückungstermin naht
Morgen früh um 9:30 Uhr werde ich in Königsberg erwartet und – so will ich doch hoffen – in einer meiner Stellung angemessenen Art empfangen.
Morgen früh um 9:30 Uhr werde ich in Königsberg erwartet und – so will ich doch hoffen – in einer meiner Stellung angemessenen Art empfangen.
Empfang ohne Blaskapelle, ohne Hymne, ohne Aufwartung durch Eingeborene.
Aber nur ganz kurz, denn es regnet.
Und „Nah und frisch“ hat nachmittags eh zu. Also gleich wieder ins Resort, comme il faut. Zweimal im Dampfbad, sowie 20 min anspruchsvollster Schwimmtechnik gemeistert.
Publikum sehr heterogen. Bei Tisch ein vergleichsweise junges Opfer ambitionierter Nebenerwerbstätowierer, herzlich und unbedarft. Einer, der alles schon erlebt hat, weil sein Bruder bei Deichmann Schuhe verkauft hat. Und einer, der weiß, dass Deutsch in Wien die erste Fremdsprache ist. Das ist der Lustige, dessen Schmäh auch nach dreißig Jahren noch frisch klingt. „Die Kellnerin ist so dünn, die kann nur Hautkrebs oder Knochenfrost kriegen.“ Und Ähnliches, Tieferes und Seichteres mehr.
Tatsächlich wollte ich mir ein paar Sprüche merken, aber da spielt meine Psyche nicht mit. Nebenbei natürlich schlüpfrig bis abstoßend alles da, was spöttisch diskriminiert werden kann. Aber selber viel zu klein für sein Gewicht und auch sonst scheint mir der „Mr. Universum“ in weite Ferne gerückt. Aber er ist eigentlich nett und das beste: er mag mich. Ha!
Das Frühstück als Epizentrum des Informationsangebots: ich weiß jetzt, nach wievielen Portionen Kaffee und optionalen Zigarettengenusses die Herren sich dem Vergnügen des Stuhlgangs widmen.
Und dass mein Liebling beim Bezahlen des Selbstbehaltes auf den Hinweis, dass man Kartenzahlung bevorzuge, so reagierte: „No, da hab ich gleich bar gezahlt, und zwar in lauter 10-er Scheinen, das haben die bis am Abend zählen können.“
Am Frühstücksbuffet teilte er den Anwesenden mit, er sei kein Polyp mit 10 Armen, also verlange er ein Tablett, um nicht 5 mal hin und her gehen zu müssen. Ich wies darauf hin, dass das wohl Bestandteil des therapeutischen Ansatzes zur Bewegungsmotivation sei. Ha! Was soll ich sagen – er hat (als einziger) sein Tablett gekriegt.
Zu Mittag heute Fisch, weil am Donnerstag wird ja das Aquarium gereinigt. Und auf die Frage, ob der Fisch frisch sei, antwortet der Verkäufer: ”Sicherlich, Sie sehen ja, dass er noch lebt.“ Darauf der Kunde: „Jo, mei Oide aa…“.
Die Entwicklung des gemeinen Tischwitzes verläuft also – Qualität und intellektuellen Anspruch betreffend – rasend schnell nach unten. Tiefpunkte sind jederzeit zu befürchten. Schon jetzt habe ich Unzitierbares feinfühlig ausgeklammert. Ich kann nur hoffen, dass sich all das nicht negativ auf meine Wirbelsäule auswirkt.
Gestern Abend noch Kulturelles, Abteilung Völkisches unter besonderer Berücksichtigung der Tuba
Nichts Zitierbares aus dem Speisesaal. Man versäumt aber deswegen nichts.
Die Vorfreude auf meine Heilmassage nahm besondere Dimensionen an, nachdem ich herausgefunden hatte, dass Ödön Horvath hier als Masseur wirkt. Aber zu früh gefreut, er hatte heute frei und ich musste mich sozusagen dem Nächstbesten hingeben. Infolge meiner Funktion als Massageobjekt redlich ermattet hat eine gebratene Dorade mich wieder soweit zu Kräften gebracht, dass ich einen Spaziergang in Erwägung gezogen habe.
Das habe ich gar nicht vermutet. Die Summe der IQ-Werte der an meinem Tisch versammelten Patienten habe ich intuitiv nicht hoch eingeschätzt. Nach einigen freiwillig erfolgten und völlig unnötigen Selbstoffenbarungen meines Lieblingstischgenossen scheint mir die Schätzung doch übertrieben optimistisch.
Nach fast sympathischen Geständnissen privater Natur (wem geht es nicht so, dass er in seiner Plattensammlung nur schwer etwas findet, weil ja Heino neben Elvis steht), der doch überraschenden Information, er sei mit einem geweihten Motorrad unterwegs, obwohl er das Segnungsorgan (Pfarrer) aufgefordert habe, sein Motorrad nicht dreckig zu machen, kam dann die für mich Naturnaiven unerwartete Sensation: ein Foto des Protagonisten mit dem lachenden Herbert und dem Bekenntnis „Ich bin kein Fan, ich bin ein Apostel!“
Als das dann klar war, hielt keine Schleuse mehr: Deklaration als Impfgegner der ersten Stunde samt Auflistung aller bedeutenden Verschwörungsevents, an denen er teilgenommen bzw. mitgewirkt habe. (Ist dieser Konjunktiv unpassend?)
Zum Durchatmen noch eine Wuchtel: kann man am Flohmarkt auch Läuse kaufen oder gibt es dort nur Flöhe? Hohoho….
Heute zum ersten Mal kein Nebel, kein Regen. Dass ich das noch erleben darf.
Also, eine Überraschung jagt die nächste. Gespräch über den Film „Muttertag“, die mitwirkenden Schauspieler, den Autor, etc. Vermutungen, wonach nicht alles im Drehbuch stand, sondern auch von den Schauspielern improvisiert worden wäre. Die Kreativität der Darsteller bewundert. Einer konnte sich an Hörbiger erinneren, der ihm das so ähnlich erzählt habe. So weit – so alltäglich.
Jetzt spontanter Wechsel von der Kommentierung konsumierter Darstellungsleistungen anderer hin zur eigenen Bühnenerfahrung: Kickls Nachbar musste schon ein paar Mal bis zu fünf Minuten frei auf einer Bühne sprechen und vermittelte glaubhaft, wie schwer ihm das gefallen sei. Allgemeine Neugier, bei welchen Gelegenheiten ihm dies zugemutet worden war.
Ganz einfach: einmal bei einem Volksfest, einmal in einer Vereinsversammlung, und noch da und dort. Und warum wurde er auf das Podium gebeten?
Der unfreiwillige Bühnenstar: „Einmal hab ich ein Mountainbike gewonnen. Dann hab ich ein Auto gewonnen.“
Ich: „Was für ein Modell?“ Er: „Ein Fiat Punto. Ein roter. Und dann hab ich eine Grillparty für 20 Personen gewonnen. Bei Radio Niederösterreich.“
Wir alle schauen starr. „Und dann hab ich noch ein Mountainbike gewonnen.“ Wir schauen weiter starr. „Und dann hab ich noch ein Auto gewonnen, wieder einen Fiat Punto.“
Ich habe nicht mehr nach der Farbe des Autos gefragt, lediglich vorgeschlagen, dass er mir beim Ausfüllen des nächsten Lottoscheins behilflich ist.
Zum ersten Mal lässt die Wolkendecke Hoffnung auf eine trockene Stunde aufkommen. Ich nutze diese Stunde für einen kleinen Ausflug zwecks Orientierung in der der näheren Umgebung. Es ist schön hier:
Weichet nicht ab vom rechten Weg…
Wieder erlaubt das Wetter nicht, das Haus zu verlassen. Die Therapie ist gut, bewirkt aber momentan mehr Schmerz als Verbesserung.
Das Vokabular bei Tisch rutscht täglich weiter ab. Wir sind jetzt bei Fäkalscherzen, Witzen über Tiere und Frauen und bei Strache, der in Ibiza so gemein hereingelegt wurde.
Übrigens, es gibt ein universell einsetzbares Wort, das Staunen, Bewunderung, Resignation und Ermutigung auszudrücken vermag und daher in fast jedem zweiten Satz Anwendung finden kann: „Leckorsch!“
Unser Apostel ist über das Impf-Thema hinaus vielseitig interessiert: Auf dem Mittagstisch lag ein dickes Buch, das Cover mit dem Titel „1.666 Sex-Witze“ etwas abgegriffen, mit einigen Lesezeichen versehen.
Es folgte das Übliche.
Wieder etwas Neues. „Immer wenn ich Mannerschnitten esse, denk ich: Das ist wie mit den Frauen. Zuerst reisst du sie auf, dann vernascht du sie, und nachher gibt’s nix wie Brösln“.
Meister Lieh-tse sagt: „Des Wanderns Lust ist der Genuss der Zwecklosigkeit. Genüge im eigenen Selbst zu finden ist des Wanderns höchste Stufe.“
Heute klare Suppe mit Buchstaben.
Ich konnte daraus leider keinen auch nur halbwegs sinnhaften Text komponieren. Hab dann alle Buchstaben aufgegessen.
Langweilig!
Was für ein unpersönlicher Ort: kein Gesicht, kein Charakter, keine Eindrücke. Eine sehr große Kirche, innen geradezu überreichlich ausgestaltet, wahrlich üppig. Und sonst nichts.
Das Tal wird beherrscht von einer Art Panoramafriedhof in Hanglage. Von dort überblickt man die gesamte Landschaft und umgekehrt.
Und die Burgruine. Sonst nichts.
Das satte Grau des wolkenverhangenen Himmels mahnte an das nach dem gewitterlichen Inferno nach wie vor bestehende Regenrestrisiko. Mein Drang nach Luft und Bewegung verbot feigen Rückzug. Wer nicht wagt, der nicht wandert.
Munter ging ich an Bord des Autobusses Richtung Krumbach und verhandelte mit dem Fahrer die ideale Route meiner Reise. Nicht die Abzweigung nach Hochneukirchen sollte mein Ziel sein, auch nicht die Sägemühle, vielmehr wäre Unterhaus der rechte Ort, um eine Schlossbergbesteigung in Angriff zu nehmen.
Folgerichtig verpasste der Fahrer genau diese Station und brachte mich weiter auf eine Anhöhe in einiger Entfernung. Sei’s drum, so dachte ich und schritt den Hügel zurück bergab, um unten angekommen gleich nach dem Alpakahof
den Anstieg zum Schloss zu wagen. Bescheidene Anmerkung: ich war schon beim ersten Versuch erfolgreich. Der Berg, der mich rief, ward ohne größere Mühen bezwungen.
Das Schloss zum Schloss war verschlossen. Privatbesitz, angeblich Sitz einer internationalen Schule. Mitten im dichten Tann. Der Himmel immer noch grau.
Sodann steil hinab in den Haselgraben, dessen wilde Schönheit noch keiner je besungen hat. Ein offizieller Wanderweg wohl, jedoch nur wenig bewandert, wie die wuchernde Vegetation vermuten ließ.
Dann wegen (trotz militärischer Ausbildung) peinlicher Fehlinterpretation der Karte irrtümlich an unerwarteter Stelle aus dem Wald herausgekommen. Der Himmel immer noch grau.
Eine Entscheidung musste getroffen werden, Gott sei Dank eine meiner Stärken. An der Bundesstraße entlang, ohne besondere topographische Herausforderung flach bis Schönau führend oder wieder hinauf, um den ursprünglich geplanten Weg weitergehen zu können. Nun: mein Schweinehund verlor die Auseinandersetzung glatt. Der Himmel immer noch grau.
Lange Strecke auf der Straße konsequent ansteigend. Hinter der Leitschiene ging es steil ins Tal. Erhebliches Schnaufen war der Preis für den Höhengewinn, allerdings habe ich zwischendurch die Wahl dieser Wegvariante beinah bereut. Der Himmel immer noch grau.
Am höchsten Punkt angelangt dem Glücksgefühl freien Lauf gelassen. Weiter ging es mit Blick auf das weite Tal, dem der Zöbernbach folgt. Da und dort heulende Maschinen, Kuhgemuh aus dem Stall und schreiende Vögel. Vor mir nur mehr negative Steigung. Und: der Himmel klar in hellem Blau. Herrlicher Blick in alle Richtungen. Endlich leichter Regen. Gleich drauf die ☀️☀️☀️.
Vom Abendessen nicht das kleinste Krümelchen übrig gelassen.
Mein Freund, der selbsternannte Referent für humoristische Grundversorgung, gab Teile seiner Vergangenheit preis. Und siehe da: unsere Lebensläufe weisen Überschneidungen auf. Wer hätte das gedacht?
Als Verkaufsleiter von Tlapa (Favoritenstrasse) hat er alle bedeutenden Persönlichkeiten dieses Landes eingekleidet. Vom Präsidenten bis zum Fussballer ging alles durch seine Hände, was Rang und Namen hatte. Sportler, Schauspieler und Prominenz aller Sparten. Lieb waren immer der Zilk und die Dagi, besonders wenn sie besoffen waren. Also eh immer. Und der Krankl, und der Gunther Philipp und der Peter Weck….
Die schlimmste Erfahrung aber war eine Kundschaft, die alle nur bis zum Äußersten sekkiert hat. Ein Dirigent.
Was aber habe ich mit ihm gemeinsam? Ganz einfach: er hat meine Tlapa-Kundenkarte unterschrieben.
Es ist schon sehr schön hier. Lediglich die in der Wanderkarte als mäßig bezeichneten Anstiege erweisen sich als Herausforderung. Die müssen sich bei der Erarbeitung der Beschreibungstexte einen Buckel gelacht haben, wenn sie sich die Fremden auf den mäßigen Steigungen vorgestellt haben.
Abenteuerlich verlaufende, beinahe völlig verwachsene Waldwege, einsam gelegene Bauernhöfe, unerwartete Begegnung mit Tieren, …
Windgeschwindigkeiten jenseits meines Wohlfühllimits
Genug Zeit für eine kleine Rundreise. Thema Wehrkirchen.
Bei manchen kann man diesen Zweck noch nachempfinden, bei anderen haben zahllose Umbauten und später erfolgte Bereinigungen den urspünglichen Charakter stark verändert. Interessant die kleine Kirche in Bad Schönau.
An diesem Tag dann Hochneukirchen:
Und anderes mehr:
Am schönsten und erbaulichsten sind immer die Wanderungen.
Endlich ein deutlicher Hinweis, wo ich hier gelandet bin.
Wieder hinaus, allerdings mit Zeitlimit. Also den Erlenbach entlang, soweit ich halt komme. Der Wald kühlt nach der angeberisch brennenden Maisonne deutlich. Der Bach in einer Rinne, die sich zu Schlucht entwickelt. Die Bäume riesig, so hoch wie fünf- sechsstöckige Häuser.
Was passt zwischen Frühstück und Krafttraining?
Genau, ein Tiroler Linzer Auge. Ist das schon Globalisierung?
Und im Kurpark stehen Tag und Nacht seltsame Gestalten herum.
Mit Erfolg hab ich auch die letzte Therapie absolviert. Aufatmen. Erleichterung. Oder schöner gesagt: „Leise zieht durch mein Gemüt liebliches Geläute“.
Über viele Erfahrungen schweigen zu können, rechne ich mir selber hoch an. Erkenntnis über Nichtlohnendes! Ha! Und Konsequenz. Und mancherlei Unannehmliches gleitet mir sogar zu rasch aus dem Gedächtnis: es sollte eine knusprige Schlusspointe werden, aber mir ist entfallen, worum es im mittäglichen Tischgespräch ging.
Wichtiger war ohnehin die Erfahrung, auf welche semantisch spezielle Form der Steigerung unangenehme Befindlichkeiten zum Ausdruck gebracht werden können, nämlich so: wenn etwas echt „orsch“ ist, bedeutet das noch lange nicht, dass es nicht auch noch viel „orscher“ sein kann. Soweit klar, doch damit nicht genug. Erst wenn etwas „am orschesten“ ist, leidet auch der Erzähler.